Was hilft beim Loslassen?
Als mein Mann und ich 2021 unsere Wohnung auflösten und all unseren Besitz verkauften, um ohne Enddatum durch Europa zu reisen und frei zu sein, war er plötzlich da: Der Moment, an dem es kein Zurück mehr gab. Wenn eine große, lebensverändernde Entscheidung getroffen ist. Dinge in die Wege geleitet sind. Und man es nur noch umsetzen muss. Doch um ein Kapitel sauber abzuschließen und loszulassen – und ein Neues unbefleckt zu beginnen –, braucht es zuallererst eins: genügend Raum für Abschied.
Jeder Abschied ist ein Übergang
Um diesen gebührend zu feiern, sind die eigenen Räumlichkeiten eine oft unterschätzte Stütze. Denn nicht jeden Abschied sucht man sich aus. Nicht jeder Abschied fällt einem leicht. Das Loslassen des Alten kann mitunter ganz schön aufwühlend sein.
Bewusst Loslassen lernen
Dabei geht es nie um den Gegenstand an sich. Sondern immer um die Emotion, die, durch die Erinnerung an diesen Gegenstand in seinem Ursprungs-Setting, hervorgerufen wird. Manchmal ohne dass man es steuern kann.
Ein Beispiel: Beim Erbstück des Opas geht es nie nur um den Tisch an sich. Sondern vielmehr um das Gefühl von Zusammenhalt und Zugehörigkeit, das man hatte, als man damals gemeinsam mit der Familie lachend um eben diesen Tisch saß.
Abschiede brauchen Raum, keine Ratschläge
Viele Menschen sind jedoch von ihren Emotionen überfordert. Sie sortieren lieber Dinge, anstatt sich mit diesen in der Tiefe auseinanderzusetzen. Oder hinzugucken, worum es gerade wirklich geht. Das passiert auch umgekehrt: Anstatt Mitmenschen Raum zum Abschiednehmen zu gestatten, predigt man Lösungen, denn das lässt sich besser kontrollieren und tut mitunter nicht so weh.
Die höchste Kunst des Loslassens
Als mein Mann den Vorschlag machte, uns drei Monate Zeit für unsere Auflösung zu lassen, war ich erstmal geschockt. Ich bin Minimalistin und kann mich gut von Dingen trennen. Das Auflösen des gesamten Besitzes jedoch, ist die höchste Kunst des Loslassens. Und die habe ich komplett unterschätzt. Diese lange Zeit des Abschieds, entpuppte sich rückblickend als die wichtigste Phase dieser großen Lebensveränderung: Wir nahmen jedes Teil nochmal in die Hand. Wir tauchten in Familiengeschichte ein. Sahen uns uralte Fotoalben oder Schuldokumente an. Lachten und weinten. Saßen stundenlang in den immer leerer werdenden Räumen. Fühlten die Wellen an kunterbunten Emotionen eines gesamten Lebenskapitels.
Emotionale Unterstützung beim Abschiednehmen
Sucht man sich einen Abschied nicht freiwillig aus oder fahren – wie bei uns – die Emotionen Achterbahn, dann helfen all die tollen Lösungsvorschläge von Freunden oft herzlich wenig. Und es braucht einfach mehr Raum. Ruhige Farben und weiche Materialien helfen in den eigenen vier Wänden dabei, sich in dieser verletzlichen Zeit sicher und geborgen zu fühlen. Und sich leichter öffnen zu können. Der Raum wird so zum „Safe Space“.
Auch Klarheit und Ordnung helfen dabei, dem Auge einen dringend benötigten Ruhepol zu bieten, welcher sich dann direkt auf das Gehirn überträgt. Das Ergebnis: Das Kopfchaos lichtet sich, Ruhe kehrt ein. Der Raum wird so zu einem ablenkungsfreien Ort und „Buddy“, der den Schmerz halten kann, anstatt ihn durch Dinge zu überlagern.
Musik war für uns ebenfalls ein Anker. Sie hat uns dabei geholfen, mit unseren Emotionen in Kontakt zu bleiben. Sie nicht einfach wegzudrücken, nur weil sie vielleicht gerade unbequem sind. Mal laut und schnell für positive Vibes. Mal leise und langsam für Trauer oder Wut. Unsere Räume wurden so zu Zeugen der Zeit und des Übergangs.
Freud und Leid
Auch aktuell befinden wir uns gerade in einem Abschiedsprozess, den wir uns diesmal nicht ausgesucht haben: Unser Hund ist gestorben. Die intensive Zeit vor diesem Termin war an Schmerz kaum zu übertreffen. Seit Wochen haben wir uns Raum dafür genommen. Wir haben darauf geachtet, es uns in unserem neuen, noch sehr improvisierten, Zuhause so schön wie möglich zu machen und einen „Safe Space“ für uns zu gestalten, in dem alle Emotionen sein dürfen und wir uns sicher fühlen.
So haben wir diesen Abschied nicht nur bewusst verarbeitet oder einen ablenkungsfreien Ort geschaffen: Wir haben auch Erinnerungsstücke im Raum dafür genutzt, all die schönen Erlebnisse und Momente wieder hervorzuholen. Daraus haben wir einen kleinen Altar gebaut. Aus einem Abschied wurde eine wochenlange Zeremonie. Und aus doofen Bildern, wurden lauter wunderschöne, lustige Erinnerungsmomente mit unserem Hund, die bis heute überwiegen.
Richtig genutzt, werden deine Räume also zu den vielleicht wichtigsten Verbündeten beim Abschiednehmen.
Perspektivwechsel
In diesem Artikel geht es um den äußeren, räumlichen Blickwinkel auf das Abschiednehmen. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille: Die innere, mentale Perspektive auf das Abschiednehmen, gibt es in der Podcastfolge „Raum für Abschied“. Darin geht es darum, die Schönheit und Relevanz im Abschiedsprozess zu erkennen und so nachhaltig dafür zu sorgen, das jeweilige Kapitel sauber abzuschließen.